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Die Bibel als eschatologisches Buch

Was denkst du, wenn du das Wort „Eschatologie“ hörst? Wenn es dir wie vielen Christen geht, denkst du sofort an die Wiederkunft Christi. Aber hast du dabei jemals an die Geburt Christi gedacht? Seine erste Ankunft? Je nachdem, welche Gemeinde du besuchst, denkst du vielleicht an die Entrückung und die große Trübsal. Aber hast du jemals an Pfingsten gedacht? Du denkst vielleicht an das Buch der Offenbarung. Aber was ist mit 1. Mose? 2. Mose? 3. Mose?

Der Grund dafür, dass den meisten von uns beim Nachdenken über Eschatologie eher Jesu Wiederkunft als seine Geburt in den Sinn kommt, liegt darin, dass Eschatologie die Lehre von den letzten Dingen ist. Der Begriff setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen: eschatos (für „zuletzt“) und logos (für „Wort“ oder „Rede“). Wenn wir beides zusammensetzen, haben wir das Wort Eschatologie – ein Wort oder eine Rede über das, was zuletzt ist.

Aus diesem Grund wurde in der Systematischen Theologie die Eschatologie traditionell als der Teil der christlichen Lehre definiert, der sich mit den „letzten Dingen“ in Bezug auf den Einzelnen und die Weltgeschichte befasst. Die individuelle Eschatologie befasst sich mit den „letzten Dingen“ für jeden einzelnen Menschen. Mit anderen Worten: Es geht um Themen wie den Tod und den Zwischenzustand (den Zustand zwischen Tod und Auferstehung). Die allgemeine Eschatologie hingegen befasst sich mit den „letzten Dingen“ der Weltgeschichte – der Wiederkunft Christi, der allgemeinen Auferstehung, dem Endgericht, dem Himmel und der Hölle.

Es ist wichtig, diese Definition von Eschatologie zu verstehen, aber ich möchte argumentieren, dass auch ein Verständnis im viel breiteren Sinne wichtig ist. Die letzten Dinge passieren nicht einfach aus heiterem Himmel heraus. Alle Ereignisse, die unter die traditionelle Definition von Eschatologie fallen, betreffen Gottes Absichten und Ziele – und alle Absichten und Ziele Gottes sind mit der Person und dem Werk Jesu Christi verbunden. Gottes Absichten und Ziele hat er von der Ewigkeit her verfolgt. Das bedeutet, dass diese Absichten und Ziele bereits Absichten und Ziele waren, als Gott den Himmel und die Erde schuf. Es bedeutet auch, dass alles, was Gott seit der Schöpfung tut, auf die Verwirklichung dieser Absichten und Ziele ausgerichtet ist. Wenn wir darüber nachdenken, beginnen wir zu verstehen, dass die gesamte Heilige Schrift eschatologisch ist.

Wir können uns das vergegenwärtigen, indem wir uns vor Augen führen, wie vorausschauend und zukunftsorientiert die gesamte Heilige Schrift ist. Die christliche Eschatologie ist in den Verheißungen Gottes verwurzelt, und Verheißungen sind von Natur aus zukunftsorientiert und erwarten ihre Erfüllung in der Zukunft. Die Verheißungen Gottes beginnen bereits in den ersten Kapiteln der Bibel. Nachdem Adam und Eva von der Schlange versucht worden und in Sünde gefallen waren, sagte Gott zur Schlange: „Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen: Er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen“ (1Mose 3,15). Gott verspricht hier, dass er die Herzen der gefallenen Menschen gnädig verändern wird (indem er die Feindschaft mit der Schlange setzt, um dadurch die Feindschaft mit Gott zu ersetzen). Er wird richten und erlösen, und das durch den Samen der Frau. Dies ist die erste von vielen Verheißungen, die Gott in Bezug auf seine Erlösungsabsichten macht. Sie ist auf etwas ausgerichtet, das Gott in der Zukunft tun wird. Mit anderen Worten: Sie ist eschatologisch.

Im gesamten Alten Testament ist alles, was Gott mit seinem Volk tut, auf die eine oder andere Weise mit der Verwirklichung seiner Ziele mit der Schöpfung und der Menschheit verbunden. Das zeigt sich nicht nur in der ersten Verheißung Gottes, sondern auch in den Verheißungen, die Gott macht, als er den Noah-Bund (vgl. 1Mose 6–9), den Abraham-Bund (vgl. 1Mose 12; 15; 17), den mosaischen Bund (vgl. 2Mose 19–24) und den davidischen Bund (vgl. 2Sam 7) aufrichtet. Darüber hinaus gibt Gott Verheißungen für einen neuen Bund, den er mit seinem Volk schließen wird (vgl. Jer 31). Diese Verheißung des neuen Bundes beinhaltet die Zusage, dass Gott seinen Geist über sein Volk ausgießen wird (vgl. Joel 2). Alle Verheißungen Gottes sind auf die eine oder andere Weise zukunftsorientiert und alle diese Verheißungen finden ihre Erfüllung in Christus (vgl. 2Kor 1,20).

Gottes eschatologische Ziele und Absichten zeigen sich auch in den verschiedenen Typen und Schatten, die auf Christus hinweisen. Beispielsweise weist das gesamte Opfersystem, das sich auf die Stiftshütte und den Tempel konzentrierte, auf Christus hin. Er ist der wahre Hohepriester (vgl. Hebr 4,14). Er ist das wahre Sühneopfer, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt (vgl. Joh 1,29). Er ist der wahre Tempel, in dem Gott bei seinem Volk wohnt (vgl. Joh 2,19–21; Joh 1,14). Nicht nur die Priester des Alten Testaments waren Vorbilder Christi, sondern auch die davidischen Könige. Als Sohn Davids (vgl. Mt 1,1) sitzt Christus jetzt zur Rechten Gottes und hat das verheißene Reich erhalten (vgl. Eph 1,20; Dan 7,13–14; Apg 2,32–36). Als der verheißene Prophet wie Mose (vgl. 5Mose 18,15–18) wusste Christus, dass er in Jerusalem sterben würde (vgl. Lk 13,33). Jesus ist der zweite Adam (vgl. 1Kor 15,45) und der leidende Knecht (vgl. Apg 8,32–35). Diese alttestamentlichen Vorbilder und Schatten sind alle eschatologisch, da sie in die Zukunft gerichtet sind. Sie waren Mittel, mit denen die Menschen des Alten Testaments etwas über den kommenden Messias verstehen konnten.

Darüber hinaus hat jedes große Thema der Schrift, das sich in den ersten Kapiteln von 1. Mose zu offenbaren beginnt, eine eschatologische Ausrichtung. Alle diese Hauptthemen werden in den ersten Kapiteln der Bibel eingeführt und finden ihre Vollendung in den letzten Kapiteln der Offenbarung. Von 1. Mose bis zur Offenbarung wird jedes dieser Themen weiterentwickelt, während Gott in seiner Vorsehung alles auf die Erfüllung seiner eschatologischen Ziele hinführt. Lass uns einige dieser Themen näher betrachten.

Gott ist natürlich mehr als nur ein Thema, denn er steht im Mittelpunkt der Geschichte der Heiligen Schrift. Gott ist das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Er ist derjenige, der das Ende (Eschatologie) von Anfang an festlegt. Er ist derjenige, der die Geschichte durch seine Vorsehung auf die von ihm festgelegten Ziele hinlenkt. Gott erschafft den Himmel und die Erde zu einem bestimmten Zweck. Dieses Ziel ist in der neuen Schöpfung, dem neuen Himmel und der neuen Erde, die in den letzten Kapiteln der Offenbarung beschrieben wird, vollständig erreicht. Wie bereits erwähnt, beginnt das Thema des Bundes in 1. Mose und bleibt in der ganzen Schrift eschatologisch ausgerichtet. Das Thema des Königreichs weist auf den kommenden Messias hin, der als König der Juden geboren wird. Das Sabbatthema von 1. Mose weist auf den eschatologischen Sabbat hin, der im Hebräerbrief beschrieben wird (vgl. Hebr 4). Das Thema des Konflikts zwischen Gott und der Schlange, das in 1. Mose 3 eingeführt wird, führt zu einer Verheißung des Gerichts, die auf den Sturz Satans in den Feuersee hinweist. Der Tod, der durch die Sünde in die Welt gekommen ist, wird durch die eschatologische Auferstehung beseitigt. Das gesamte Erlösungswerk, das mit einer Verheißung der Gnade in 1. Mose 3 beginnt, weist auf das Erlösungswerk Jesu Christi hin, der für unsere Sünden gestorben und zu unserer Rechtfertigung auferstanden ist. Wenn wir all diese biblischen Themen betrachten, können wir besser verstehen, wie Jesus mit Mose und allen Propheten beginnen und den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus sagen konnte, dass alle Schriften von ihm handeln (vgl. Lk 24,27).

Wenn wir die Eschatologie aus dieser größeren biblischen Perspektive betrachten, können wir verstehen, dass das erste Kommen Christi ebenso ein eschatologisches Ereignis ist wie sein zweites Kommen. Als das Wort Fleisch wurde und unter uns wohnte, begannen sich alle eschatologischen Erwartungen zu erfüllen, die das Volk Gottes seit Tausenden von Jahren gehegt hatte. Deshalb sagt Matthäus in Bezug auf Jesus immer wieder, dass etwas geschah, um zu erfüllen, was von den Propheten gesagt worden war (vgl. Mt 2,15.23; 4,14; Mk 14,49). Deshalb beginnt Markus sein Evangelium mit einem Verweis auf die Worte des Propheten Jesaja (vgl. Mk 1,1–3). Deshalb schloss Jesus, als er nach Nazareth kam und in der Synagoge die Verheißungen aus Jesaja 61 las, mit den Worten: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren!“ (Lk 4,21).

Das erste Kommen Jesu Christi leitete die lang erwartete Endzeit ein, die im ganzen Alten Testament verheißen worden war (vgl. Hebr 1,2; 9,26; 1Petr 1,20). Er ist der Menschensohn, der zum „Hochbetagten“ aufstieg und das verheißene Reich empfing, das nicht zerstört werden wird (vgl. Dan 7,13–14). Er ist jetzt der Mittler des verheißenen eschatologischen Neuen Bundes (vgl. Hebr 9,15). Er hat die Verheißung Gottes erfüllt, seinen Geist über sein Volk auszugießen (vgl. Apg 2,17). Er ist der Erstling der eschatologischen Auferstehung (vgl. 1Kor 15,20–22). Am letzten Tag wird er in Herrlichkeit wiederkommen (vgl. 1Thess 4,13–18).

Kurz gesagt, wenn wir Eschatologie verstehen wollen, dürfen wir sie nicht als bloße Abfolge einer Reihe von Ereignissen betrachten. Wir müssen verstehen, dass es in der Eschatologie um Jesus geht und darum, was die ganze Bibel über ihn und sein Werk sagt.


Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.

Keith A. Mathison
Keith A. Mathison
Keith Mathison ist Professor für Systematische Theologie am Reformation Bible College in Sanford, Florida (USA).