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Das Zeugnis des Johannesevangeliums

Kürzlich habe ich wieder einmal das Johannesevangelium gelesen – in vielerlei Hinsicht ist es ein erstaunliches Buch. Als literarisches Werk ist es angenehm zu lesen, das Vokabular ist relativ einfach, und doch ist die wiederholte Verwendung ähnlicher Ausdrücke tiefgründig (wie etwa die „Ich bin“-Worte). Obwohl es nicht viele ausdrückliche Zitate aus dem Alten Testament gibt, ist das Johannesevangelium voll von alttestamentlichen Themen und Anspielungen (wie „Hirte“, „Brot“, „aufgerichtete Schlange“). Es gibt viele Beispiele für Ironie (z.B. der Blinde „sieht“ Jesus, aber die „Sehenden“ erkennen ihn nicht, Johannes 9; Kajaphas‘ Vorhersage über Jesu Tod war zutreffender, als er selbst gedacht hätte, Joh 11,50). Oft verwirrt ein Ausspruch Jesu sein damaliges Publikum, während der Leser ihn verstehen kann (z.B. „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten“, Joh 2,19). Das Buch hat einen interessanten Handlungsstrang, der Jesus, die zuweilen verwirrten Jünger und die antagonistischen „Juden“ und Pharisäer umfasst.

Mehr noch als auf literarischer Ebene aber erstaunte mich wieder einmal der scharfe Fokus, den Johannes auf unseren Herrn Jesus Christus legt. Praktisch in jedem Absatz wird dem Leser nicht nur die allmächtige Macht Christi vor Augen geführt, sondern auch sein Erbarmen mit Sündern. Das Johannesevangelium zeigt in wahrhaften Berichten die Wunder Jesu, unseres Erlösers.

Grob betrachtet hat das Johannesevangelium einen ähnlichen Aufbau wie die anderen kanonischen Evangelien. Alle Evangelien konzentrieren sich auf Jesus, erwähnen Johannes den Täufer, das Wirken Jesu als Erwachsener und enthalten einen langen Abschnitt über die letzte Woche in Jerusalem, der das Passahfest, den Prozess und den Tod Christi umfasst. Die Gliederungen der Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas ähneln sich jedoch gegenseitig stärker als die von Johannes. Hier ein kurzer Abriss:

Jesus ist der „Sohn“

Von allen Büchern der Bibel konzentriert sich das Johannesevangelium am stärksten auf die Person Jesu. Man sollte dies aber nicht überbetonen: Die ganze Bibel, sowohl das Alte als auch das Neue Testament, spricht von Jesus (vgl. Lk 24,44–47Joh 1,455,391Kor 2,2). Auch die anderen drei Evangelien beschreiben die Person und das Werk Jesu. Dennoch stimmt es, dass Johannes sich am meisten auf die Person Christi konzentriert.

Der am Stärksten hervorgehobene Aspekt der Person Jesu im Johannesevangelium ist, dass er der Sohn ist. Manchmal wird Jesus einfach als „Sohn“ (Joh 3,35–36), ein andermal als „Sohn Gottes“ (1,3411,420,31) oder wieder an einer anderen Stelle als „einziger (eingeborener) Sohn (Gottes)“ (1,143,16–18) bezeichnet. Diese „Sohn“-Bezeichnungen beziehen sich alle eindeutig auf die Göttlichkeit Jesu (im Rahmen des trinitarischen Verständnisses), wie in Johannes 1,1–3185,1810,30 und 20,28 bestätigt wird.

Diese Betonung des „Sohnes“ verdeutlicht nicht nur seine Göttlichkeit, sie erklärt auch die enge Beziehung und Liebe zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn. Wie auf menschlicher Ebene Väter normalerweise ihre Söhne lieben, so gibt es in der Dreifaltigkeit eine noch vollkommenere Liebe zwischen Vater und Sohn. „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben“ (3,35); „Damit aber die Welt erkennt, dass ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater geboten hat“ (14,31). Im Johannesevangelium gibt es viele längere Abschnitte, in denen Jesus über verschiedene Aspekte seiner Beziehung zum Vater und über das Werk, das der Vater ihm aufgetragen hat, spricht (5,19–248,16–2910,24–2914,6–1317,1–26). Außerdem gibt es mehrere Passagen, in denen die Beziehung zwischen Gott dem Vater, Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist erörtert wird (14,16-172615,2616,13–15).

Die Person und das Werk von Jesus

Ein weiterer Aspekt der Beziehung zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn ist die Tatsache, dass Jesus an einigen Stellen als dem Vater gleichgestellt dargestellt wird, während er in anderen Texten als untergeordnet beschrieben wird. Theologen verwenden die Begriffe „ontologisch“ (gleich in Bezug auf das Sein) und „ökonomisch“ (untergeordnet in Bezug auf die Arbeit), um diese beiden Arten von Passagen zu unterscheiden. Was die Gottheit des Sohnes betrifft, so ist er dem Vater in Wesen, Macht und Herrlichkeit völlig gleich (ontologische Trinität). Johannes zeigt dies zum Beispiel in dem wunderbaren Anfang seines Evangeliums, wo er erklärt, dass das Wort (Jesus) sowohl „bei Gott“ war als auch selbst „Gott war“ (1,1–2). Dies äußert sich auch im Höhepunkt des Buches (kurz vor der Aussage über seinen Zweck), wo Thomas ausruft: „Mein Herr und mein Gott“ (20,28).

Wenn Jesus seinen Auftrag und sein Werk auf der Erde beschreibt, betrachtet er sich als dem Vater untergeordnet (ökonomische Trinität). Um ein Beispiel zu nennen: „Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, er hat mir ein Gebot gegeben, … Darum, was ich rede, das rede ich so, wie der Vater es mir gesagt hat.“ (12,49–50; siehe auch Joh 5,308,2914,28). Diese trinitarische Beziehung, in der die drei Personen der Dreieinigkeit im Wesen gleich sind, aber unterschiedliche Aufgaben haben, wird in der Kirche vorgelebt. Alle Christen sind vor Gott gleich, aber sie haben unterschiedliche Gaben und Befugnisse in der Kirche.

Während also die Göttlichkeit Jesu, seine ewige Existenz und seine allmächtige Macht betont werden, verkündet das Johannesevangelium auch kühn die Menschlichkeit Jesu. Im Prolog stehen die berühmten Worte: „das Wort [Jesus] wurde Fleisch“ (1,14). Jesu Menschlichkeit zeigt sich, als er gekreuzigt wird und stirbt (19,30) und setzt sich nach der Auferstehung fort, als Jesus Thomas seine Hände und seine Seite berühren lässt (20,27). Jesus ist voll und ganz göttlich und voll und ganz Mensch zugleich, und wird es für immer bleiben. Der kürzere Westminster Katechismus 21 drückt es so aus: „Der einzige Erlöser der Auserwählten Gottes ist der Herr Jesus Christus, der, da er der ewige Sohn Gottes war, Mensch wurde und so Gott und Mensch in zwei verschiedenen Naturen und in einer Person war und in Ewigkeit bleibt.“ Wir haben einen erstaunlichen Erlöser!

Bisher haben wir hauptsächlich über die „Person“ Jesu gesprochen, „wer“ er war und ist. Aber was ist mit seinem „Werk“? Im Johannesevangelium besteht das Hauptwerk Jesu offensichtlich darin, der Erlöser der Auserwählten Gottes zu sein, was in seinem Tod und seiner Auferstehung gipfelt. Weniger stark betont, aber dennoch wichtig, ist Jesu Werk als Schöpfer. Der Prolog des Johannes beginnt mit Aussagen über die göttliche Natur Jesu (1,1–2). Unmittelbar danach wird Jesus (in Verbindung mit dem Vater und dem Heiligen Geist) als der Schöpfer (und Erhalter) des Universums beschrieben: „Alles ist durch dasselbe [das Wort=Jesus] entstanden; und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist“ (1,3). Etwas weiter im Prolog findet sich die traurige Feststellung, dass Jesus von der Welt, die er geschaffen hat, im Allgemeinen abgelehnt wurde: „Er [Jesus] war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, doch die Welt erkannte ihn nicht“ (1,10). Diese einleitende Betonung Jesu als Schöpfer bildet die Grundlage für viele der Wunder, die Jesus im Laufe des Johannesevangeliums vollbringt. (Für andere neutestamentliche Texte, in denen Jesus der Schöpfer ist, siehe 1 Kor 8,6Kol 1,15–18Hebr 1,1.10–12).

Unsere Beziehung zu Jesus nach dem Vorbild der Beziehung des Vaters und des Sohnes

Im Johannesevangelium wird die Beziehung zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn zweifellos als einzigartig beschrieben. Dennoch gestaltet sich die Beziehung des Christen zu Jesus auf scheinbar widersprüchliche Art teilweise nach dem Vorbild der einzigartigen Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn: „gleichwie du, Vater, in mir [Jesus] und ich in dir; auf dass auch sie [die Christen] in uns eins seien“ (Joh 17,21). Die enge und innige Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn („in“) ist ein Muster dafür, wie Christen mit ihrem Gott verbunden sind. Die Rede vom wahren Weinstock spiegelt diese Verbindung wider (15,1–11).

Es gibt mehrere Verse, die die einzigartige Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn mit der Liebe zwischen dem Sohn und uns verbinden: „Gleichwie mich der Vater liebt, so liebe ich euch [Christen]; bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe geblieben bin“ (15,9–10; siehe auch Joh 14,2117,26). Und es geht noch darüber hinaus: Auch die Liebe zwischen Christen folgt dem Vorbild der Liebe Jesu zu uns (13,34).

Die Art und Weise, auf die sich Jesus und seine Schafe gegenseitig „kennen“, ist dem tiefen gegenseitigen Kennen nachempfunden, mit dem der Vater und der Sohn einander verstehen: „Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und bin den Meinen bekannt, gleichwie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne“ (10,14–15).

Ein Aspekt des Christseins ist der, dass wir in diese Welt gesandt wurden, um in Jesu Namen gute Werke zu tun: „Gleichwie du [der Vater] mich [Jesus] in die Welt gesandt hast, so sende auch ich sie in die Welt“ (17,1820,21).

Jesus wurde „gesandt“ und hatte ein „Werk“ zu tun. Er erfüllte seine Aufgabe, und gab uns damit ein hilfreiches Vorbild für die Erfüllung unserer Aufgaben.

Schließlich wird die Einheit der Christen noch nachvollziehbarer, wenn wir erkennen, dass sie nach dem Vorbild der Einheit des Vaters und des Sohnes gestaltet ist: „damit sie eins seien, gleichwie wir“ (17,11b). Es ist offensichtlich, dass das Johannesevangelium ein erstaunliches Buch ist. Lies es ganz durch. Denke über Jesus als den „Sohn“ nach und darüber, wie deine Beziehung zu Jesus teilweise nach dem Vorbild der Beziehung zwischen Vater und Sohn gestaltet ist.


Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.

Robert J. Cara
Robert J. Cara
Robert Cara ist akademischer Leiter des Reformed Theological Seminary und Professor für Neues Testament am Campus in Charlotte. Außerdem ist er ordinierter Pastor in der Associate Reformed Presbyterian Church.