Warum die Reformation notwendig war
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Juni 13, 2023Protestantische Glaubensbekenntnisse
Die Reformation war im Grunde ein Kampf um die Grundlagen des christlichen Glaubens. So hielten zunächst Martin Luther und später weitere Reformatoren protestantischer Traditionen den biblischen Glauben gegen die römisch-katholische Lehre und den päpstlichen Magistrat. Obwohl die Protestanten auf die Bibel als einzige Quelle der Lehre verwiesen, mussten sie dennoch ihr Verständnis der biblischen Lehre artikulieren. In diesem Sinne waren reformatorische Glaubensbekenntnisse eine natürliche Entfaltung der protestantischen Hingabe zur Bibel.
Die Notwendigkeit von Glaubensbekenntnissen war jedoch keine Erfindung der Protestanten. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Kirche inmitten von Krisen und Verwirrungen immer wieder zum Glauben bekannt. Dabei war es zu keinem Zeitpunkt die Aufgabe eines solchen Glaubensbekenntnisses, die Schrift zu ersetzen. Das Bekenntnis sollte vielmehr das Zeugnis der Kirche für die Wahrheit der Schrift vor dem Hintergrund aufkommender Irrlehre zusammenzufassen.
Zwei der berühmtesten Beispiele hierfür sind historische Bekenntnisse aus der Antike: das Bekenntnis von Nicäa (325 n. Chr.) und das Bekenntnis von Chalcedon (451 n. Chr.). Diese entstanden aus demselben Grund wie spätere protestantische Bekenntnisse: aus der Notwendigkeit, klarzustellen, was die Kirche in Lehrfragen für wesentlich hält.
Die Besonderheit an protestantischen Bekenntnissen ist jedoch der Wunsch der Reformatoren nach einer tiefgreifenden Reform. Es handelte sich nicht lediglich um Streitpunkte über eine oder mehrere kleine Lehrfragen, sondern um die Notwendigkeit, die Kirche grundlegend zu reformieren. So wurden einige bestehende Lehren – etwa die Lehre über die Trinität – als biblisch anerkannt, während andere sorgfältig artikuliert werden mussten – etwa die Lehre über die Rechtfertigung allein durch Glauben. Die protestantischen Lehrer waren um der Gläubigen willen darum bemüht, die Gedanken, die hinter der Zustimmung von Lehren (wie der Rechtfertigung allein durch Glauben) bzw. der Ablehnung anderer Lehren (wie der des päpstlichen Magistrats) in der gängigen Alltagssprache niederzuschreiben.
In dieser Hinsicht sind protestantische Glaubensbekenntnisse im Vergleich zu früheren Bekenntnissen ausführlicher und tiefgehender. Dennoch sollen sie, wie auch schon die Glaubensbekenntnisse der Antike, weder die Bibel ersetzen noch ihr gleichgestellt sein. Sie sind stattdessen eine Artikulation dessen, was die Protestanten in der Heiligen Schrift vorfanden.
Lutherische Bekenntnisse
Ein erster Beleg für diesen Trend ist bereits in der frühen Reformation zu finden. Nachdem Luther von 1517 bis 1519 für die Rechtfertigung allein durch den Glauben gekämpft hatte und auf dem Reichstag zu Worms (1521) zum Geächteten und Ketzer erklärt worden war, arbeitete er sofort daran, die Grundlagen seiner Botschaft in einer Reihe von Bekenntnisschriften niederzuschreiben. Zwei davon waren für die Kirche bestimmt und eine diente der öffentlichen Verteidigung von Luthers Botschaft.
Luther schrieb den Großen und den Kleinen Katechismus im Jahr 1529. Der Große Katechismus diente der Ausbildung erwachsener Studenten und Geistlicher. Den Kleinen Katechismus schrieb Luther für Kinder und Neubekehrte. Im selben Jahr verfasste er eine Abhandlung, um die Notwendigkeit von Bekenntnissen zu rechtfertigen. Hierin argumentiert er, dass ein gemeinsames Bekenntnis wesentlich sei, obgleich die Kirche allein auf dem Zeugnis der Schrift ruht. Diese frühen reformatorischen Bekenntnisse verdeutlichen aber auch ein bestimmendes Merkmal solcher Bekenntnisschriften: Sie dienen als Werkzeug der Jüngerschaft und sind wesentliche Bestandteile des Gemeindelebens.
Das dritte Bekenntnis aus dieser Zeit war das berühmte Augsburger Bekenntnis (1530). Dieses von Martin Luther und Philip Melanchthon verfasste Dokument war nicht für den gemeinsamen Gottesdienst gedacht, sondern diente als Verteidigung gegen Kaiser Karl V. und den Adel Europas. Es war eine Verteidigungsschrift der lutherischen Botschaft und darum teils kämpferisch im Ton, wenn nicht mindestens in dessen Implikationen. Es sollte verdeutlichen, was Lutheraner – entgegen den allgemeinen Anschuldigungen der deutschsprachigen Katholiken – tatsächlich glaubten.
Die lutherischen Katechismen und Bekenntnisse bilden einen Mikrokosmos für die Art und Weise, wie Bekenntnisse während der Reformationszeit genutzt wurden: eines für den Einsatz im Gottesdienst, ein anderes für die öffentliche Disputation gegen die willkürlichen Anschuldigungen gegen die protestantische Lehre. Eines sollte für jeden Gläubigen in der Kirche sein, ein anderes für ihre geistlichen Leiter zur Klarstellung der orthodoxen Lehre.
Die Verbreitung von reformierten Bekenntnissen
Die Wertschätzung von Bekenntnissen kennzeichnete auch die reformierte Tradition. Je nachdem, wie man es definiert, gab es 40 bis 50 reformierte (oder reformiert geprägte) Bekenntnisse zwischen 1520 und 1650. Das sind bei Weitem die meisten von allen protestantischen Traditionen. Huldrych Zwingli skizzierte bereits 1523, unmittelbar nach Entstehung der reformierten Tradition, die 67 Artikel und bot somit eine Verschriftlichung der Streitpunkte, um die es in Zürich ging. Es folgten die Berner Thesen (1528), das Basler Bekenntnis (1534) und weitere, als verschiedene Städte begannen, die reformierte Denkweise zu adaptieren. In anderen Ländern kamen weitere hinzu, etwas das Glaubensbekenntnis der Hugenotten (1559) und das Schottische Bekenntnis (1560).
Verantwortlich für diese Vielzahl an reformierten Bekenntnissen ist ihr Entstehungskontext. Der reformierte Glaube wurde immer schon von einer Mehrzahl von Leitern vorangetrieben (ganz im Gegenteil zu der vorherrschenden Meinung, dass die gesamte reformierte Lehre allein von Calvin erfunden wurde). Er fand seinen Ursprung nahezu zeitgleich in diversen Städten und Ländern. Ab 1520 wandten sich Stadt um Stadt – oft nach und nach – der Reformation zu, und einige sogar schon, bevor die Reformation nach Genf kam. Daher gab es auch nicht die eine Stimme (wie etwa die von Luther), um die grundlegenden Dokumente der reformierten Kirchen hervorzubringen.
Daraus resultierte, dass viele Gemeinden einen großen Teil ihrer Kraft damit aufgebracht haben, ein Bekenntnis für ihre Ortsgemeinde zu verfassen. Darum werden die meisten reformierten Bekenntnisse auch mit der Stadt ihrer Entstehung identifiziert. Es handelte sich dabei um Bekenntnisse, die für die jeweilige bestimmte Stadt oder Kirche gedacht waren, nicht aber für alle reformierten Kirchen an allen Orten.
Dennoch weisen Historiker und Theologen darauf hin, dass es eine gewisse Harmonie in diesen Bekenntnissen gibt, die alle einzelnen Stimmen in eine gemeinsame reformierte Stimme vereint. Die Unterschiede sind nicht so groß, dass die Übereinstimmungen zu Fragen wie der Erlösung, des Gottesdienstes und der Gemeindepraxis übersehen werden könnten. Heute akzeptieren viele Kirchen eine harmonische Lehrmeinung, die man als die Drei Formen der Einheit bezeichnet: das Niederländische Glaubensbekenntnis, die Dordrechter Lehrregel und der Heidelberger Katechismus. Es handelt sich hierbei nicht um eine Einheit der Autorenschaft, sondern eine Einheit ihres Zeugnisses für die reformierte Lehre.
Das bedeutet nicht, dass alle reformierten Bekenntnisse identisch sind. Als der reformierte Glaube von den Schweizer Kantonen nach Deutschland, Frankreich, in die Niederlande und dann nach England und Schottland ausbreitete, gab es deutliche Unterschiede, was die Betonung einzelner Schwerpunkte oder die Anwendung betrifft. Diese unterschiedlichen Bekenntnisse kreierte den ersten Schritt, der dann in der Vielfalt der reformierten Denominationen und Gemeinschaften resultierte, die wir heute kennen.
Die Remonstranten und Dordrecht
In den Niederlanden bildete der Aufstieg des Arminianismus innerhalb der reformierten Kirche den Anlass zur Synode von Dordrecht (1618–1619). Dies war eine einzigartige Anwendung der reformierten Lehre auf die Herausforderung von Jacobus Arminius. Nachdem dieser unter Calvins Nachfolger Theodor von Beza Theologie studiert hatte, kehrte Arminius zurück in die Niederlande, um als Pastor zu dienen. Ironischerweise war es Beza, der für Arminius hierzu ein Empfehlungsschreiben verfasste. Arminius hegte jedoch zunehmend Zweifel an der reformierten Theologie und ihren Lehren über Vorherbestimmung und Gnade. Im Laufe der Zeit wurden die Lehren von Arminius zum Schlachtruf mehrerer Pastoren gegen die calvinistische Gesellschaft.
Nach dem Tod von Arminius im Jahr 1609 kodifizierte die arminianistische Position (auch als „Remonstranten“ bekannt) fünf Punkte, die den Führern des Holländischen Krieges zur Trennung von den spanisch kontrollierten katholischen Gebieten der Niederlande vorgelegt wurden. Die Synode von Dordrecht versammelte sich als Reaktion darauf und widersprach jedem der fünf Punkte. So wurden die fünf Punkte des Calvinismus geboren, wenngleich es nicht die Intention der Synode war, den christlichen Glauben auf fünf Punkte zu reduzieren. Die Punkte sollten lediglich eine Antwort auf die Argumente des Arminianismus darstellen.
Auch das Baptistische Glaubensbekenntnis von 1689 ist ein individueller Ausdruck reformierter Grundsätze durch die puritanischen bzw. einfachen Baptisten. Es wurde also von denjenigen verfasst, die sich der reformierten Lehre verpflichtet fühlten, sich aber dennoch von Presbyterianern, Anglikanern und niederländischen Calvinisten in Bezug auf ihre Kirchenleitung und durch die Ablehnung der Kindertaufe unterschieden. Dieses Bekenntnis bildete den Höhepunkt von Generationen von Baptisten, die aus England kamen, und sollte die Ansichten der reformierten Baptisten über Jahrhunderte hinweg prägen.
Die Westminster Standards
Den Höhepunkt der Bekenntnisse bildeten die Westminster Standards. Sie bestehen aus dem Westminster Bekenntnis, dem Großen und Kleinen Katechismus, dem Westminster Directory of Public Worship (einer allgemeinen Gottesdienstordnung) und des *Form of Presbyterian Church Government (*einem Dokument zur Ordnung des presbyterianischen Kirchenwesens). Das Bekenntnis diente als neue Ausdrucksform reformierter Orthodoxie, während die zwei Katechismen das Bestreben von Luther nachahmten, ein Handbuch sowohl für Geistliche und Erwachsene (Großer Katechismus) als auch für Kinder (Kleiner Katechismus) zu schaffen. In seiner Länge und seinem Tiefgang kann es kein reformatorisches bzw. post-reformatorisches Bekenntnis mit dem Bekenntnis der Synode von Westminster aufnehmen. Auch seine Entstehungsgeschichte ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Puritanismus innerhalb der englischen Kirche.
Seit der Regierungszeit von Heinrich VIII. (1509–1547) hatte die anglikanische Kirche nur ein rudimentäres Bekenntnis angenommen: die Zweiundvierzig Artikel (1552), die später auf die Neununddreißig Artikel (1563) reduziert wurden. Obwohl diese in ihrer Theologie dem Protestantismus folgten, klärten sie nicht die Verpflichtungen der Kirche zu den Grundsätzen des Gottesdienstes. Auch vermieden sie eine spezifische Position gegenüber kontroversen Lehrfragen, beispielsweise den kirchlichen Führungsstrukturen oder der Gegenwart Christi im Abendmahl. Das Versäumnis der anglikanischen Kirche, ein umfassenderes Bekenntnis zu artikulieren, war jedoch großteils nicht auf ihr Zögern zurückzuführen. Die heftigen Schwankungen zwischen protestantischen und katholischen Loyalitäten unter Eduard VI. und Maria I., den beiden Kindern von Heinrich VIII., machten ein solches Unterfangen unmöglich. Während eines Großteils des 16. Jahrhunderts konnte sich die anglikanische Kirche schlicht nicht den Luxus leisten, ein einheitliches Bekenntnis zu verfassen.
Zur Zeit von Elisabeth I. hielten nicht wenige in England gar die frühere Notwendigkeit eines solch begrenzten Bekenntnisses für eine Tugend. Kürzere Bekenntnisse könnten die Zahl der Lehrstreitigkeiten eindämmen, die zum Beispiel zwischen den reformierten und lutherischen Geistlichen in Europa aufflammten. Selbst dem reformierten Glauben zugewandte Bischöfe wie Matthew Parker begannen, sich besorgt darüber zu äußern, dass die englische Kirche immer häufiger aufgefordert wurde, ihre Haltung zu Gottesdienst, Gewändern, Lehre und anderen liturgischen Praktiken zu ändern. Diese Spannungen resultierten in der Entstehung des Puritanismus, zunächst unter Elisabeth I. und dann später unter Jakob I. Die Bezeichnung „Puritanismus“ beschrieb dabei eher den Impuls, weitere Reformen anzustreben, als eine klar definierten Bewegung. Dennoch teilten alle Puritaner den Frust über das Zögern der Bischöfe und politischer Führungspersönlichkeiten, weitere Reformen in der englischen Kirche anzustreben.
Zur Zeit von Karl I. sah die Lage sehr düster aus. Unter Elisabeth und Jakob wurden die Puritaner oft ignoriert, aber kaum verfolgt. Karl I. verkörperte hingegen eine aggressivere Haltung gegenüber den Puritanern. Die Auseinandersetzungen zwischen Parlament und dem König mündeten schließlich in den Englischen Bürgerkrieg (1642–1651). Die Puritaner gewannen diesen Kampf, angeführt vom heldenhaften Einsatz Oliver Cromwells, dessen Statue noch heute direkt vor dem Parlament steht. Während des Krieges beauftragte das Parlament die Puritaner (und einige schottische Berater) damit, eine Versammlung einzuberufen, um die Neununddreißig Artikel zu einem vollständigen Bekenntnis zu erweitern, das mit anderen Bekenntnissen aus Europa vergleichbar wäre. Die Synode in Westminster bemühte sich redlich, sich auf die Neununddreißig Artikel zu stützen, fand dieses Modell aber bald zu einengend und begann daher von vorn. Der historische Kontext der Kämpfe gegen Karl I. und die Notwendigkeit weiterer Reformen erklären die Länge und Tiefe der Westminster Standards. Sie sollten nicht so sehr als der Versuch einer Zusammenfassung aller Lehrsätze verstanden werden, als viel mehr die Explosion aufgestauter Energien innerhalb des Puritanismus, um die englische reformierte Lehre und Praxis zu definieren. Viel Blut war vergossen worden und viele Stimmen wurden zum Schweigen gebracht. Jetzt, da die Stimmen aus ihrer Umklammerung befreit waren, sahen sie es als ihre Pflicht an, nicht nur ihre lehrmäßige Position darzulegen, sondern auch den Gottesdienst, die Nachfolge und eine Vielzahl weiterer Themen im Leben der Kirche zu definieren.
Gegenwärtige Bekenntnisse
Heute werden Bekenntnisse im Leben der protestantischen Kirche auf unterschiedlichste Weise verwendet. Nicht alle Strömungen in evangelikalen Kirchen sind Bekenntnissen gegenüber aufgeschlossen. Kräfte, wie der aufkommende Pietismus und die Zweite Große Erweckung haben die Rolle des Bekenntnisses, sowohl privat als gemeinschaftlich, zugunsten einer direkteren Artikulation des Glaubens geschwächt. Zuweilen werden Bekenntnisse gar als Hindernisse auf dem Weg zum authentischen Glauben gesehen.
Während diese Tendenzen alarmierend sind, sind die Bekenntnisse des 16. und 17. Jahrhunderts nicht verschwunden. In vielen Kirchen werden sie wöchentlich genutzt, sowohl im Gottesdienst als auch für neue Gläubige und Kinder. Viele Denominationen nutzen sie auch, um die Vertrauenswürdigkeit von Pastoren und Ältesten sicherzustellen. In diesem Sinne bilden die Glaubensbekenntnisse nicht lediglich den Grenzzaun, der hilft, die Orthodoxie zu gewährleisten. Sie werden auch als lebendige Dokumente benutzt, die Christusnachfolger auf ihrem täglichen Weg prägen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.