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Heiliger Geist vs. biblische Lehre?

Als die Ältesten der First Reformed Church erfuhren, dass einer ihrer langjährigen Hauskreis-Leiter seine Teilnehmer lehrte, Jesus sei zwar ein göttliches Wesen, aber dem Vater nicht gleich an Macht, Herrlichkeit und Autorität, beriefen sie ein Treffen ein, um mit ihm über seine Ansichten zu sprechen. Mehrere Stunden lang untersuchten sie, wie er dazu gekommen war. Geduldig versuchten sie ihn zu korrigieren. Sie legten ihm die Schrift aus – erklärten ihm ihre Bedeutung im ursprünglichen Kontext – und betrachteten die großen Glaubensbekenntnisse der Kirche, um ihm seinen Irrtum zu zeigen. Aber der Mann war nicht zu überzeugen. Auch als sie ihm bewiesen, dass die größten Lehrer der verschiedenen theologischen Traditionen sämtlich seinen Ansichten widersprachen und alle die vollkommene Gottheit Jesu bestätigten, ließ er sich nicht davon abbringen. Er führte 1. Johannes 2,27 an und begründete seine endgültige Antwort damit, dass es keine Rolle spiele, was irgendein menschlicher Lehrer denkt. Er habe die Salbung des Heiligen Geistes und es sei daher nicht nötig ihn zu belehren. Der Geist zeige ihm, dass sich die historische christliche Kirche in Bezug auf die Identität Christi irre, und er deswegen dem widersprechen müsse, was Christen schon immer geglaubt haben.

Nicht jeder von uns musste sich mit Leuten auseinandersetzen, die so offensichtliche Irrlehren damit rechtfertigten, dass sie sich auf die Salbung durch den Geist beriefen. Aber wahrscheinlich sind die meisten von uns schon auf jemanden gestoßen, dessen Überzeugungen vielleicht weniger problematisch, aber trotzdem nicht biblisch waren, und der sich auf diese Passage berufen hat, um zu beweisen, dass menschliche Lehrer überflüssig sind. Vielleicht haben wir das auch schon selbst getan, um unsere Denkweise zu rechtfertigen. Aber ist ein solcher Gebrauch dieser Bibelstelle gerechtfertigt?

In unserem Zeitalter des Subjektivismus sind Menschen schnell dabei, für ihre Auffassung einer Bibelstelle oder anderer geistlicher Angelegenheiten die unmittelbare Belehrung durch den Heiligen Geist ins Feld zu führen. Sie meinen, sie hätten es nicht nötig, sich von einem menschlichen Lehrer unterweisen zu lassen. Ihnen entgeht die Ironie, die darin liegt, sich zum Beweis, dass menschliche Lehrer überflüssig sind, auf 1. Johannes 2,27 zu berufen. Denn schließlich war Johannes, der diesen Vers schrieb, selbst ein menschlicher Lehrer. Natürlich schrieb er unter göttlicher Inspiration, aber er war dennoch ein Mensch und damit ein menschlicher Lehrer. Es wäre reichlich absurd, wenn ein menschlicher Lehrer diejenigen, die er unterrichtet, lehren würde, dass menschliche Lehrer unnötig sind. Er würde damit seine eigene Unterweisung für unsinnig und zwecklos erklären. Warum sollte er erwarten, dass ihm jemand zuhört, wenn er den Menschen gleichzeitig sagt, dass sie nicht auf ihn, einen menschlichen Lehrer, zu hören brauchen?

Die Frage kann nur so beantwortet werden, dass Johannes damit eben nicht sagen will, wir sollten uns aller menschlichen Lehrer entledigen. Damit würde er seine eigene Lehre zur Zeitverschwendung erklären. Zudem stünde er im Widerspruch zu den anderen Aposteln, die sagen, dass Gott seiner Kirche menschliche Lehrer gegeben hat, damit wir im Glauben reifen (vgl. Eph 4,11–16). Aber wenn Johannes das nicht sagen will, was dann?

Die Adressaten von Johannes befinden sich in einer besonderen Situation. Sie leiden unter Lehrern, die für sich eine besondere Einsicht in die Wege Gottes beanspruchen, welche über die von anderen Gläubigen hinausgeht. Diese haben gegenüber den Empfängern seines Briefes den Anspruch erhoben, dass Gott direkt, ohne die Vermittlung der Apostel, zu ihnen gesprochen habe. Gott habe ihnen mitgeteilt, dass Christus keinen menschlichen Leib angenommen habe, dass man in diesem Leben sündlose Vollkommenheit erreichen könne und andere Irrlehren. (Beachte, wie Johannes in 1. Johannes 1 gegen diese Irrtümer angeht, indem er betont, dass die Apostel den fleischgewordenen Christus berührt, gesehen und gehört haben. Auch bestätigt er, dass wir uns selbst betrügen, wenn wir behaupten, keine Sünde zu haben.) Jene Lehrer haben die christliche Gemeinschaft in zwei Gruppen gespalten: eine geistliche Elite, die die geheime Erkenntnis besitzt, und die große Mehrheit bekennender Christen, die diese Erkenntnis nicht hat.

Die sogenannten Geistlichen bringen die Gemeinde durcheinander und versuchen, die Adressaten des Johannes zu verführen (vgl. 1Joh 2,26). Daher stellt Johannes in 1. Johannes 2,27 klar, dass sie nicht auf diese Irrlehrer hören müssen. Ihr Anspruch, eine besondere Salbung und Einsicht in die christliche Wahrheit zu besitzen, ist unberechtigt. Jeder wahre Christ hat die Salbung des Heiligen Geistes, und sie brauchen die Hilfe dieser Leute nicht, die behaupten, „gesalbter“ zu sein als sie.

Johannes sagt also nicht: „Vergesst alle menschlichen Lehrer.“ Er will lediglich, dass die Christen verstehen, dass sie den Heiligen Geist haben, der Zeugnis ablegt für die Wahrheit Christi. Aber diese Wahrheit Christi ist nicht unabhängig vom Zeugnis der Apostel zu uns gekommen. Dieses Zeugnis besteht in nicht mehr und nicht weniger als der Heiligen Schrift. Gott begabt manche Personen mit gedanklicher Klarheit und Ausdrucksfähigkeit, um Gottes Wort im ursprünglichen Kontext zu verstehen und anderen zu erklären. Was keiner von uns braucht, sind menschliche Lehrer, die eine Salbung für sich geltend machen, die einen anderen Charakter hat als die Salbung, die der Geist uns gibt. Er erleuchtet Herz und Verstand aller, die zu ihm gehören, wenn sie sich mit seinem in der Schrift niedergelegten Wort befassen.


Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.

Robert Rothwell
Robert Rothwell
Robert Rothwell ist Mitherausgeber von Tabletalk, leitender Autor für Ligonier Ministries und Professor am Reformation Bible College in Sanford, Florida (USA).