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Glückselig sind, die reines Herzens sind

In allen Kulturen, so verschieden sie auch sein mögen, gibt es ein Verständnis von Reinheit. Aus der Soziologie wissen wir, dass Stämme oder Gruppen immer gewisse eigene Erwartungen bezüglich Sozialmoral und Verhalten entwickeln. Demnach begeben sich weder Jesus noch die gesamte Bibel in ein fremdes und unbekanntes Gebiet, wenn sie über Reinheit sprechen. Dennoch finden wir sowohl in den Worten Jesu, als auch in der biblischen Gesamtaussage unsere Berufung zur Reinheit auf eine unerwartete und sehr bemerkenswerte Weise dargestellt. Wir sollten uns deshalb nicht nur damit beschäftigen, wie die Worte aus Matthäus 5,8 mit unseren sonstigen Moralvorstellungen zu vereinbaren sind, sondern auch erkennen, wie sie über die vorgefertigten Formen hinausgehen und damit die einzigartige Schönheit des Evangeliums bezeugen. Wie bei den anderen Glückseligpreisungen, so geht es auch in dieser nicht lediglich um eine moralische Haltung oder eine Charaktereigenschaft, sondern diese werden direkt mit einem ganz bestimmten Geschenk Gottes in Verbindung gesetzt. In diesem Fall heißt es, dass diejenigen, die „reines Herzens sind“, „Gott schauen werden“. Zwei Aspekte dieser Lebensweise und der dafür verheißenen Belohnung wollen wir nun näher beleuchten.

Zuallererst ist das Schauen Gottes ein Geschenk, das uns durch das Evangelium von Christus zuteil wird. Bereits viele Jahre zuvor erlebte Mose die Sehnsucht danach, Gottes Herrlichkeit schauen zu können (siehe 2. Mose 33:18), und David betete um „dies eine“, dass „ich möge bleiben im Haus des Herrn alle Tage meines Lebens, die Herrlichkeit des Herrn zu schauen in seinem Tempel“ (Ps 27,4). Die biblischen Aussagen weisen so einstimmig darauf hin, mit welch einem Verlangen nach Gott wir geschaffen wurden, dass die frühen Christen von unserer großen Hoffnung als der „glückseligen Schau“ Gottes sprachen. Im Neuen Testament wird diese Verheißung wieder aufgegriffen und bestätigt, dass diese „Schau Gottes“ (visio Dei) uns zuteil wird, wenn die alten Dinge vergangen sein werden und man endlich sagen kann: „Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen; und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott“ (Offb 21,3). Die laute Stimme aus dem Himmel ruft den Leser der Offenbarung dazu auf, die Gegenwart des nahen Gottes selbst zu wahrzunehmen („Siehe!“). In Matthäus 17,1–8 erfahren wir, dass wir dank dem Mittler – Jesus selbst – Gottes Herrlichkeit schauen dürfen. Wenn er sein Werk in uns vollbringt und uns verwandelt, bewirkt das in uns die notwendige Reinheit und offenbart zugleich die Schönheit Gottes, des Allerhöchsten (Joh 1,182Kor 4,6). Allein in ihm haben wir keinen Grund uns wegen der Sünde zu fürchten und jeden Grund freudig in seine Herrlichkeit zu schauen (Matt 17,7–8).

Zweitens zeigt dieses Schauen uns die Großzügigkeit und Güte des Gottes, der uns in seine Familie aufnimmt und der selbst unsere Hoffnung und unser Verlangen ist. Das Evangelium greift die typischen Erwartungen in Bezug auf Reinheit im Verhalten auf und formt sie um. Die Reinheit, die von uns gefordert wird, bringt uns himmlische Herrlichkeit und Segen, nicht lediglich menschliche Annahme und soziale Zugehörigkeit. Das Evangelium gibt uns Gott selbst. Deshalb sollte der Apostel, der dort auf jener Straße nach Damaskus die herrliche Erscheinung Jesu Christi sah, später zu den Gläubigen in Ephesus sagen, dass der Gott, der alles hat, durch seine Gnade auch „alles in allem erfüllt“ (Eph 1,23) und sie deshalb betend und glaubend erwarten können, in ihm „erfüllt [zu] werde[n] bis zur ganzen Fülle Gottes“ (3,19). Unsere Errettung beinhaltet nicht weniger als das Geschenk des Retters selbst. Gott ist nicht nur der Autor des Evangeliums – Gott ist das ganze Evangelium.

„Reines Herzens“ sind diejenigen, die begreifen, dass wir für das Schauen Gottes erschaffen wurden und erst dadurch vollkommene Zufriedenheit erlangen. Es gibt auch andere Gottesgeschenke, die sehr wertvoll sind, aber allein durch diese Gabe wird uns der ultimative Segen Gottes zuteil. Ein entscheidender Aspekt des Wachstums in der Reinheit, die Jesus uns gibt und die er in uns sehen will, ist das unstillbare Empfinden dessen, dass kein anderes Geschenk und keine andere Belohnung uns glücklich machen kann, außer dem, dass Er sich selbst uns gibt. So können diejenigen, die „reines Herzens“ sind, mit David zusammen zum Herrn sagen: „Du bist mein Herr; es gibt für mich nichts Gutes außer dir!“ (Ps 16,2).

Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.

Michael Allen
Michael Allen
Michael Allen ist Professor für Systematische Theologie am Reformed Theological Seminary in Orlando (Florida, USA). Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher.