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„Allesamt einer in Christus Jesus“

Die Aussage von Paulus in Galater 3,28 wurde schon oft zitiert, um verschiedene falsche Positionen zu untermauern, aber sie wird in der Regel vor allem auf zwei Arten falsch interpretiert. Die erste besteht darin, Paulus so zu missverstehen, als würde er sagen, dass alle menschlichen Unterschiede quasi ausgelöscht sind. Die zweite besteht darin, die Bedeutung seiner Aussage unterzubewerten.

Erstens berufen sich manche Menschen auf Galater 3,28, um Egalitarismus, Transgenderismus, umfassende kulturelle Assimilation, ethnische Gleichgültigkeit, klassenlose Gesellschaften und mehr zu verteidigen. Aber diese Ideen sind für Paulus’ Anliegen irrelevant. Die Gleichheit, für die er eintritt, bezieht sich auf die Erlösung; es geht nicht um eine völlige Aufhebung aller menschlichen Unterschiede. Tatsächlich wurden bestimmte Unterscheidungen bei der Schöpfung festgelegt – etwa zwischen dem Sabbat und den gewöhnlichen Tagen (vgl. 1Mose 2,2–32Mose 16,22–26Mk 7,19), zwischen Arbeit und Ruhe (vgl. 1Mose 2,152Thess 3,10Jak 5,4) und bei den Geschlechterrollen (vgl. 1Mose 2,181Kor 11,3–16). Aus dieser Realität ergibt sich die allgemeine Gültigkeit der drei Kategorien, die Paulus erwähnt: Geschlechterrollen (männlich –weiblich), Unterschiede in der Arbeitsgesellschaft (Sklave – Freier) und ethnische Zugehörigkeit (Jude – Grieche).

Männlich – weiblich. Das Werk Christi hebt die Geschlechterrollen nicht auf. Es gibt zum Beispiel keinen Widerspruch zwischen Galater 3,28 und Epheser 5,22, da es in dem einen um die Erlösung und in dem anderen um die Geschlechterrollen im Haus geht. Bestimmte Unterscheidungen bleiben auch in der Kirche bestehen, z.B. die Unterscheidung, dass nur qualifizierte Männer kirchliche Ämter ausüben dürfen (vgl. 1Tim 2,12–15).

Sklave – Freier. Paulus’ Bitte an Philemon geht von sozialen und arbeitsrechtlichen Unterschieden aus, doch er wendet das Evangelium trotz dieser Unterschiede an, indem er Philemon daran erinnert, dass er und Onesimus zwar in einer Beziehung von Überlegenheit und Unterlegenheit standen, dass sie aber in erster Linie Brüder waren, die in einem Erlöser vereint sind (vgl. 1Kor 12,13).

Jude – Grieche. Ethnische Zugehörigkeit und Kultur sind zwar nicht per se schöpferische Einrichtungen, aber sie sind durch die Vorsehung geordnet (vgl. Apg 17,26). Niemand von uns hat sich seine ethnische Zugehörigkeit oder die Kultur, in die er hineingeboren wurde, ausgesucht, doch die Erlösung durch Christus setzt Gottes Weisheit der Vorsehung nicht außer Kraft.

Aus dem Kontext und der Analogie der Heiligen Schrift wissen wir, dass Paulus nicht sagt, dass alle Unterschiede hinfällig werden. Dennoch gibt es einen gleichwertigen und gegenteiligen Irrtum, nämlich den, fleischliche Unterschiede auf Kosten der christlichen Einheit zu betonen. Im Galaterbrief geht es Paulus weniger um die Beibehaltung von Unterschieden als um die Beseitigung von Unterschieden, die das, was Christus vollbracht hat, stören (vgl. 1Kor 12,13Kol 3,11). In diesem Zusammenhang ist die Erlösungsgeschichte wichtig.

Vor der „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4) gab es eine Mauer zwischen Juden und Nichtjuden (vgl. Eph 2,14). Israel wurde „vor allen Völkern“ (5Mose 10,15) als „kostbares Gut“ (5Mose 7,6) erwählt. Die Nationen hingegen wurden „auf ihren eigenen Wegen gelassen“ (Apg 14,16). Christus weihte ein Reich ein, das die Prophezeiungen erfüllte, dass Gott die Völker zu seinem Erbe machen würde (vgl. Ps 2,81Kön 8,41–43). Sogar während seines Dienstes verzögerte Christus die vollständige Einbeziehung der Völker, bis sein Werk vollendet war (vgl. Mt 10,515,24). Obwohl vorhergesagt, war diese Einbeziehung schockierend; daher die Verwirrung in der Apostelgeschichte in Bezug auf Nichtjuden und Beschneidung (vgl. Apg 10-1115). Diese Verwirrung durchdrang auch die Gemeinden in Galatien, wo die Judaisten die Beschneidung als zusätzliches Mittel anpriesen, durch das man ein Kind Abrahams wird. An die Stelle der Beschneidung ist jedoch die Taufe getreten, als Zeichen und Siegel der Vereinigung mit Christus (vgl. Gal 3,27). Was braucht es also, um mit Christus vereint zu sein? Was macht uns zu einem Kind Abrahams? Es ist nicht die ethnische Zugehörigkeit (Jude oder Nichtjude), das Geschlecht (männlich oder weiblich) oder der soziale Status (frei oder Sklave). Allein der Glaube verbindet uns mit Abrahams Samen (vgl. Gal 3,16.22) und macht uns zu Söhnen (vgl. Gal 3,26). Aufgrund unserer Verbindung mit Christus haben wir Anteil an den Vorzügen Christi – kein Unterschied, keine Überlegenheit, kein Vorteil gegenüber einem anderen. Wer an Christus glaubt, ist – ungeachtet seines Geschlechts, seiner Klasse, seiner Rasse oder seines Alters – zusammen mit allen anderen Gläubigen in Christus Jesus und hat somit Anspruch auf alle Vorteile, die diese Vereinigung mit sich bringt.

Die Vereinigung mit Christus ist von vorrangiger Bedeutung, auch wenn bestimmte Unterscheidungen fortbestehen. Der Glaube steht an erster Stelle, weil er allein die Menschen – unabhängig davon, wie unterschiedlich sie äußerlich sein mögen – als gemeinsame „Erben nach der Verheißung“ (Gal 3,29) vereint. Alle anderen menschlichen Unterschiede in diesem Leben sind vergleichsweise vernachlässigbar. Ja, sogar kulturelle Unterschiede, so schön sie auch sein mögen, sind trivial im Vergleich zu der Einheit, die Gottes Volk teilt. Daraus muss folgen, dass Christen, die in ihren äußeren Beziehungen kaum Gemeinsamkeiten haben, eine Einheit genießen, die jede vermeintliche Einheit, die auf solchen Merkmalen beruht, unendlich übertrifft.

Unterschiede in der Gemeinde sind erlaubt, solange sie nicht spaltend wirken, während Parteilichkeit jeglicher Art nicht erlaubt ist. Wenn wir zulassen, dass Unterschiede die Gemeinschaft unter Christen stören, bauen wir die Barriere wieder auf, die Christus niedergerissen hat. Wenn wir Christen nach Äußerlichkeiten betrachten, wenn wir einander nach dem Fleisch betrachten (vgl. 2Kor 5,16), bauen wir die Barriere wieder auf. Möge dies niemals von uns gesagt werden.


Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.

Aaron L. Garriott
Aaron L. Garriott
Aaron L. Garriott ist Herausgeber der Zeitschrift Tabletalk, Professor am Reformation Bible College in Sanford, Florida.