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Nach Gottes gutem Ratschluss vorherbestimmt
Ein klassisches Beispiel für griechischen Fatalismus ist die Legende von Ödipus. Voller Fragen und Zweifel über seine Herkunft sucht der Protagonist ein Orakel auf. Dieses teilt ihm mit, dass er dazu verdammt ist, seinen Vater zu töten und seine Mutter zu heiraten. Obwohl Ödipus diese furchtbare Prophezeiung ablehnt, wirken alle Geschehnisse grausam zusammen zur Erfüllung derselben. Alle Bemühungen des Ödipus, sein Schicksal abzuwenden, erweisen sich als nutzlos.
Sowohl die reformierte Lehre als auch die Grundsätze des Calvinismus zu Vorsehung und Prädestination werden oft des Fatalismus bezichtigt. Dieser Vorwurf führt jedoch zu tiefer Verwirrung. Der Calvinismus bestätigt tatsächlich, dass alle Ereignisse der Schöpfung von Gott vorherbestimmt sind. Im Westminster Bekenntnis wird es in Artikel 3 so formuliert: „Gott hat von aller Ewigkeit her nach dem vollkommen weisen und heiligen Ratschluss seines eigenen Willens uneingeschränkt frei und unveränderlich alles angeordnet, was auch immer geschieht“.1
Nichtsdestotrotz macht dieses Bekenntnis gleichzeitig deutlich, dass die göttliche Vorherbestimmung den Willen von Gottes Geschöpfen nicht bedeutungslos macht. Ganz im Gegenteil – Gott wirkt seine ewigen Absichten normalerweise durch untergeordnete Ursachen wie menschliche Akteure und natürliche Prozesse. Es gibt biblische Beispiele, die zeigen, wie Gott menschliche Taten für seine eigenen Absichten lenkt: die Geschichte von Joseph (vgl. 1Mose 45,5–8; 50,20), die Eroberung des Königreichs Israel durch die Assyrer (vgl. Jes 10,5–11) und die Kreuzigung des Herrn Jesus (vgl. Apg 4,27–28).
Wie unterscheidet sich nun der Calvinismus vom Fatalismus? Muss ein Calvinist nicht zugeben, dass Judas dazu vorherbestimmt war, Jesus zu verraten (vgl. Joh 17,12; Apg 1,16), genauso wie Ödipus dazu vorherbestimmt war, seinen Vater zu töten? Wir sollten zunächst festhalten, dass „das Schicksal“ in der Antike als eine unpersönliche Kraft oder als Prinzip betrachtet wurde, welches gleichermaßen für Menschen und Götter gültig war. Da die Griechen einen transzendenten, persönlichen Schöpfer nicht anerkannten, konnten sie sich auch keinen souveränen Gott vorstellen, der alle Dinge „durch seine … heilige Vorsehung“2 lenkt.
Es gibt keine göttliche Hand der Vorsehung, keinen allumfassenden Plan Gottes für einen heidnischen Fatalisten. Hinter den schicksalhaften Folgen steht kein erkennbarer Grund; das Universum ist ein absurdes und tragisches Theater. Dies steht im krassen Gegensatz zur biblischen Weltsicht, laut derer Gott „alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens“ (Eph 1,11) und in der „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind“ (Röm 8,28).
Vorherbestimmte Wege und Folgen
Ein zweiter großer Unterschied zwischen Calvinismus und Fatalismus wurde bereits angeschnitten. Der Calvinismus betont, dass Gott nicht nur das Ende bestimmt – das schlussendliche Ergebnis von Ereignissen –, sondern auch die Wege zu diesen Ergebnissen. Anders formuliert: In Gottes Vorsehung werden die Wege den Ergebnissen gleichgeordnet, sodass die Ergebnisse von den Wegen dahin abhängig sind. Darum hat Gott nicht nur bestimmt, dass Joseph die zweitgeordnete Autorität zum Pharao werden würde; er legte die gesamte Folge von Ereignissen fest, die zum Schluss in dieses Ende mündeten – auch die sündigen Taten von Josephs Brüdern. Wir sollten nicht denken, dass Gott für Joseph plante, so bedeutsam für den Pharao zu werden, ohne erlebt zu haben, wie seine Brüder ihn behandelten.
Fatalismus hingegen neigt dazu, das Ende von den Wegen dahin loszulösen und setzt voraus, dass unser Leben auf eine bestimmte Weise verlaufen wird, egal was wir tun. Eine moderne Illustration dieser Vorstellung zeigt sich in einer Filmreihe, in welcher eine Gruppe von Leuten dem Tod knapp entkommt, doch dies nur für kurze Zeit. Der Sensemann holt letztendlich jeden von ihnen ein, trotz all ihrer Versuche, seiner Sichel zu entkommen. Im Fatalismus wird angedeutet, dass unsere Taten wahrlich nutzlos sind; sie machen keinen tatsächlichen Unterschied für das Ergebnis. Diese Vorstellung ist jedoch der reformierten Lehre zur Vorsehung völlig fremd. Unsere Zukunft ist ganz sicher von den Entscheidungen geprägt, die wir in unserem Leben treffen. Es ist kein Widerspruch, dass unsere Zukunft essentiell von unseren Entscheidungen geprägt wird und dass Gott alle Dinge souverän bestimmt, was auch zukünftige Folgen und die Entscheidungen betrifft, die dazu führen. Ja, Gott legt die Taten seiner Geschöpfe fest, aber er bestimmt auch, dass ihre Taten bedeutsame Folgen haben werden.
Ein sportliche Illustration kann vielleicht helfen, diesen Punkt zu verstehen. Stell dir vor, du spielst eine Runde Golf mit einem Freund, der die Angewohnheit besitzt, Calvinismus und Fatalismus zu vermischen. Beim fünften Zielpunkt gelingt dir ein herrlicher Abschlag entlang der Fläche. Der Golfball landet direkt auf dem Gras und rollt triumphierend ins Loch – ein Volltreffer mit nur einem Schlag. Anstatt dir zu gratulieren, lächelt dein Freund nur schelmisch: „Du bist Calvinist, oder?“ „Ja, bin ich“, antwortest du, gespannt zu hören, worauf er hinauswill. „Du glaubst also, dass Gott alle Dinge von Ewigkeit her vorherbestimmt hat, auch dieses Einlochen mit einem Schlag. Nun, da Gott es vorherbestimmt hat, war es auch völlig egal, wie du den Ball abgeschlagen hast. Er musste ja so oder so in dem Loch landen.“
Dein Freund ist gar nicht so clever, wie er zu sein meint. Laut seiner verwirrten Schlussfolgerung wäre der Ball im Loch gelandet, selbst wenn du ihn überhaupt nicht geschlagen hättest. Das ist natürlich absurd. Der Volltreffer gelang nur, weil du abgeschlagen hast, und zwar sehr gut. Der konsequente Calvinist wird sagen, dass Gott nicht nur den Volltreffer beim ersten Schlag vorherbestimmt hat, sondern auch, dass er als Folge deines akkuraten Abschlags geschah. Dein zielgerichteter Schwung war wirklich von Bedeutung.
Dies ist keine philosophische Haarspalterei. Die Unterscheidung zwischen Calvinismus und Fatalismus hat äußerst bedeutsame Folgen für das christliche Leben. Es bedeutet, dass unsere Gebete tatsächlich einen Unterschied machen, denn Gott hat festgelegt, dass zukünftige Ereignisse als Antwort auf unsere Gebete geschehen. Ebenso bedeutet es, dass Evangelisieren notwendig ist, denn Gott hat verordnet, dass seine Erwählten durch Hören und Glauben des Evangeliums gerettet werden sollen. Es bedeutet auch, dass wir uns befleißigen müssen, unsere Berufung und Erwählung zu festigen (vgl. 2Petr 1,10). Auch wenn der Hirte keines seiner Schafe verlieren wird, so werden diese Schafe schlussendlich nur gerettet, wenn sie im Glauben ausharren bis ans Ende.
Calvinisten sind überzeugt, dass Gott die Wege zum Ende und das Ende selbst anordnet, weshalb sie ehrlich sagen können: „Wenn wir nicht gebetet hätten, wäre es nicht geschehen; wenn wir das Evangelium nicht mitgeteilt hätten, hätten sie es nicht gehört; wenn wir nicht fest im Glauben stehen, werden wir die Krone des Lebens nicht empfangen.“ Gleichzeitig jedoch schreiben Calvinisten das letztgültige Verdienst für all das der souveränen Gnade Gottes zu.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht.
- Westminster Bekenntnis 1647, Artikel 3, online unter: https://www.evangelischer-glaube.de/westminster-bekenntnis/westminster-bekenntnis/ (Stand: 26.07.2023). ↩︎
- Westminster Bekenntnis 1647, Artikel 5, online unter: https://www.evangelischer-glaube.de/westminster-bekenntnis/westminster-bekenntnis/ (Stand: 08.08.2023). ↩︎